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Yunnan - Back to China
Geschrieben von: Lutzi   
Donnerstag, 16. März 2006 um 09:18
Es ist Sonntag, der 12. März, als ich nachmittags mein Rad über die Chinesisch-Vietnamesische Freundschaftsbrücke bugsiere. Meine letzten Dongs (Vietnamwährung) in einen Cafe investiert, meine Uhr um eine Stunde vorgestellt und Dollar in Yuan gewechselt und schon kann die zweite Chinareise beginnen. Die Grenzbeamten staunen nicht schlecht, als die vierte Radlerin einreist; so weiß ich wenigstens, dass meine drei Bekannten schon auf dem Weg sind und ich bin mal gespannt, wann ich sie wiedertreffen werde.
Die Grenzstadt Hekou begrüßt mich mit typischen, grauen Plattenbauten, vergitterten Fenstern, liebloser Einkaufsstrasse, aber auch einem netten Lokal, in dem ich mir ein Eis und eine Aufputschcola gönne. Mit einem englisch-sprechenden Chinesen frische ich meine Sprachkenntnisse auf, übe die Zahlen und das Zählen mit den Fingern (was hier völlig anders als zuhause gehandhabt wird). Die 70 km nach Xinjieng entlang des Red Rivers sollten ohne große Erhebungen und Rückenwind eigentlich kein Problem sein, um vor der Dunkelheit anzukommen. ...Nur hab ich nicht mit der Bausstelle gerechnet. Wieder einmal wird mir klar, dass die Chinesen in anderen Dimensionen rechnen. Der neue Highway wird schon bald fast ausschließlich über Brücken und Betonstelzen führen - der Wahnsinn. Dementsprechend herrscht Baustellenverkehr und die überholenden Trucks hüllen mich nicht nur in pechschwarze Diesel-, sondern auch Dreckwolken ein. Entlang der Baustelle hausen die Arbeiter in zusammengezimmerten Holz-Plastikplanen-Hütten, die von etlichen Hunden gesäumt werden. Die Landschaft wechselt von Gummibaum- über Bananen- zu Ananasplantagen. Die Früchte werden von den hier ansässigen Bauern mit ihren vollbeladenen Eseln zur Strasse gebracht und ich freu mich über etliche fruchtige Geschenke. Aufgrund der ruppigen Piste und dem letzten unerwarteten Anstieg ist es eben doch eine Nachtankunft. Das kleine Städtchen ist ein mausgrauer Durchgangsort und ich finde schlussendlich ein Zimmer. Hungrig esse ich mit den Arbeitern das hier typische BBQ und stoße kräftig auf ihr Wohl an (das chinesische Bier ist fein). Obwohl ich schlagmüde bin, ist an Schlafen nicht zu denken. Ich bin in einem Stundenhotel gelandet, in dem im Halbstundentakt die besoffenen Chinesen an meiner Tür vorbeiwanken, nebenan dröhnt es aus der Karaokebar und frühmorgens weckt mich ein Gewitterregen. Na danke.
Die vom Regen durchweichte Lehmpiste und Nieselregen sind keine guten Zeichen - und irgendwann musste sie ja kommen - die große Reparatur. Kette verdreckt, Schalten unmöglich, Schaltarm und Speichen ab! Vor dem nächsten Platzregen lande ich schiebenderweise in einem der Unterschlüpfe. Ich stoppe einen Bus und hieve mein Rad aufs Dach (selbst ist die Frau) - mit einer Hilfe ist nicht zu rechnen und ernte nur stumme, nichtssagende Blicke! Herzlichen Dank. Dementsprechend dreckverschmiert sitze ich alsbald im Bus zwischen kettenrauchenden Chinesen, überhole Floris, Loes und Steve - wie gern wäre ich mit ihnen das schöne Honghe-Tal entlang terrassierter Felder hochgeradelt.
In Gejiu gerate ich an meine Grenzen und die Sprach- bzw. Kommunikationsbarrieren scheinen unüberwindbar. Ich brauche über zwei Stunden um einen ordentlichen Radladen zu finden. Nachdem ich etliche Radhändler abgeklappert habe und mir keiner weiterhelfen will oder kann, entdecke ich ein recht gutes MTB. So weiß ich, dass es in dieser Stadt einen Bikespezialisten geben muss - nur wo! Über viele Umwege treffe ich auf eine Buchhändlerin, die mir freundlicherweise weiterhilft und mich durch die halbe Stadt dorthin begleitet. Bin ich vielleicht glücklich als ich ein gebrauchtes Schaltwerk entdecke. Besser ist noch der Eigentümer: ein abgedrehter freakiger junger Chinese, der mit mir im weißen Designerblazer, Markenjeans und mit Schmuck bestückt, an meinem Radl rumbastelt! Stunden später, seine Mama hat uns derweil mit Essen versorgt, begleitet er mich zu einem nahen Hotel, wo ich den chaotischen Tag mit einem warmen Bad noch mal an mir vorbeiziehen lasse.
Hab ich gut geschlafen - und ich starte mit neuer Motivation. Der dichte Nebel lichtet sich bald und die Sonne kämpft sich durch die Wolken. Liegen die Zinnindustrieanlagen erst mal hinter einem, präsentiert sich die Landschaft fast in einem Toskanastil mit rotem Sandboden, Kiefern, Pinien usw. Kurzer Halt an der größten Karsthöhle Asiens, die leider mit dem Chinesenkitschstil verschandelt ist.
Jiangshui bietet im alten Stadtteil viele architektonische Sehenswürdigkeiten wie die Zhu-Tempelanlage einer reichen Handelsfamilie und den drittgrößten Konfuziustempel im Land. Ein junger Student ist froh seine Englischkenntnisse anzuwenden und zeigt mir seine Stadt, gibt mir Unterricht und erklärt mir einige Schriftzeichen. Tatsächlich treffe ich meine 'Drei' und wir verbringen gemeinsam den Abend. Mit Steve radle ich weiter durch die abwechslungsreiche Landschaft und in den Dörfern werden wir unerwarteterweise richtig oft begrüßt; auch die vorbeifahrenden Trucks hupen freundlich, wir sehen etliche Moscheen, was auf die aus dem zentralasiatischen Gebiet von den Mongolen vertriebenen Moslems hindeutet. Orangen-, Mandarinen- und Pfirsichbäume stehen inmitten der reifen Weizen- und Roggenfelder, Eukalyptus säumt die Strassen, und rund um uns sehen wir unzählige kleine Parzellen, in denen jegliches erdenkliche Gemüse angebaut wird. Alles wird per Hand bearbeitet: Felder umgegraben, gehackt, geerntet - selbst bewässert. Kübelweise wird Wasser an den Bambustragestäben von einem dreckig faulig-stinkendem Wasserloch zum Feld getragen und liebevoll über jedes Pflänzchen gegossen - unglaublich.
Aktualisiert ( Mittwoch, 04. Juni 2008 um 10:42 )