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Mit dem Rad in den Nordwesten Vietnams
Geschrieben von: Lutzi   
Sonntag, 12. März 2006 um 09:15
Um dem crazy traffic zu entkommen, nehme ich für die ersten 60 km aus Hanoi den Bus nach HoaBinh, von wo ich mich mittags zu dem bekannten Thaidorf MaiChau aufmache. Endlich wieder auf dem Radl sitzen. Ich hielt es schon fast nicht mehr für möglich, dass Vietnamesen auch freundlich sein können. Hab ich sie im Bus noch eben verflucht, sind sie kurz darauf freundlich, winken, grüßen und niemand forciert mich etwas zu tun, was ich nicht mag! Ich genieße den Fahrtwind, das Stückchen Freiheit und selbst die Pässe machen mir nach den wochenlangen Stadtbesichtigungen und am Beach liegen, nichts aus!
Ich sehe die ersten Frauen, die in ihrer typischen Tracht am Wegrand ihr Gemüse verkaufen und bin fasziniert von den steil aufragenden, bewaldeten Karstkegel. Allerdings: vieles wurde schon abgeholzt und zu Tee- und Pflaumenplantagen, Reis- und Kornfelder usw. kultiviert oder sind mit Bambus überwuchert.
Obwohl es mittlerweile frühlingshaft ist, packen sich die Vietnamesen dick in Daunenjacken, Wollmütze, Handschuhe ein, während ich mit kurzem Trikot bergauf radle! Aber ich muss auch zugeben, dass es durchaus recht frisch ist und auch ich froh um meine warmen Klamotten bin.
In MaiChau angekommen, finde ich ein nettes Bambushaus zum Übernachten. Etliche Familien bieten hier ein Home-Stay an. Man schläft quasi in einem Raum, bekommt sein eigenes Nachtlager samt Moskitonetz zugewiesen, isst mit der Familie und erlebt das offene Wohnen hautnah, samt der nahen Hochzeit mit lauter Karaoke-Show, die blinkende, bunte Lichterkette über mir und dem Hausaltar, höre das Klappern des Webstuhles frühmorgens unter mir, das Krächzen der massigen Göckel mitten in der Nacht.
Ich beschließe mich einer Tourigruppe für eine Tageswanderung anzuschließen und wir trekken zu abgelegenen Dörfern der Blauen H´mongs und der Blumen-H´mongs, deren bunte Röcke mit Indigoblau gebatikt bzw. mit gelb-oranger Stickerei verziert wurden. Ein Dorfbewohner erzählt uns, dass er mit seinen 65 Jahren selbst 15 Kinder gezeugt hat und nun mehr als 50 Enkel (so genau wisse er es gar nicht) und schon 3 Grossenkel hat. So besteht die Kommune mit ihren 300 Haushalten aus gar nicht so vielen verschiedenen Familien. Und nicht nur dieser Volksstamm hat eigentlich seine Wurzeln im Süden von China (Yunnan), musste aber diese Gegend wegen den einmarschierenden Mongolen verlassen.
Zurück im Dorf treffe ich auf Floris und Loes, die nur einen Tag später von Hanoi aufgebrochen sind. Außerdem Steve, ein älterer Engländer, der allein mit dem Rad unterwegs ist. So machen wir uns zu viert anderntags nach MocChau auf, und in der Gruppe macht uns der lange Anstieg auf das fruchtbare Hochplateau auf rund 1200 Hm wenig aus. Jedenfalls wendet sich das Blatt zum Positiven und es ändert das Bild und die Einstellung von Land und Leute in Vietnam, das ich bisher gehabt habe. Ich bin wirklich froh mit Floris, Loes und Steve ganz liebe Reisebegleiter gefunden zu haben und wir können uns auf ein angenehmes Tempo einigen. Selbst Steve kann mit seinem fortgeschrittenen Alter recht gut mithalten und sorgt mit seinem typisch englischen Humor für Unterhaltung.
Die kommenden Tage bis Sapa sind geprägt von langen, zum Teil steilen Anstiegen, die (gemeinerweise) zumeist am Ende des Tages auf uns warten. Aber mir macht das richtig Spaß und ich genieße die abwechslungsreiche Landschaft und das geringe Verkehrsaufkommen. Auch mit dem Wetter haben wir Glück und nur einmal Nieselregen am Morgen; selbst ein weiterer Cafe und ein ausgedehntes Frühstück hilft nicht und so starten wir eben los! Es wird ein langer Tag, denn wir haben nicht mit der Baustelle am letzten Pass gerechnet. Aber nachdem wir den Schlamm und steile Pisten hinter uns gelassen haben, kommen wir über die Nebelgrenze und zum Sonnenuntergang geht es flott etliche Kilometer bergab direkt zum Hotel. In dieser Gegend leben v.a. die Black Thais, die auf Nassreis- und Maisanbau spezialisiert sind.
Nach Lai Ciao schlagen wir die direkte Variante ein, kaum Verkehr und noch ein sehr traditioneller Lebensstil. Fast alle Häuser werden aus Holz, Stroh und Lehm meist auf Stelzen gebaut, nur die Schulen sind Steinhäuser. Selbst an den steilsten Hängen mähen sie das Gras, bzw. verwenden eine Art Sichel, welche mit einem Stock verlängert wird, waten mit ihren langen Röcken und Hosen durch knietiefes Wasser in ihren Reisfeldern und jäten Unkraut oder stecken die neuen Setzlinge, balancieren an ihren Bambusstäben Gemüse, Männer pflügen mit Wasserbüffel die kleinen Nassreisparzellen. Die Frauen haben ihr langes Haar zu einem Knoten auf ihr Haupt gebunden, darüber ein bunt besticktes Tuch gewunden oder gewickelt. Je nach Stamm hat das Kopftuch eine andere Farbe oder ein anderes Muster. Die Männer sind zumeist schon westlich gekleidet, am traditionellsten sind die H'mongmänner in ihren schwarzen Bast- und Leinenklamotten, sprich weitem Hemd und flatteriger Hose. Manche Leute, v.a. Kinder sind bei unserem Anblick so erschreckt, dass sie davonrennen; andere sind einfach nur schüchtern und schauen weg, wieder andere sind freundlich oder neugierig. Wenn möglich legen wir unsere Lunchpause an einem Fluss ein, baden und kühlen uns ab. Geröstete Peanuts oder getrocknete Jackfruit geben uns genügend Power für die langen Anstiege.
In Lai Ciao legen wir in einem sehr schönen Hotel einen Rasttag ein. Ich bin nun schon seit sieben Monaten unterwegs und nehme mir Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Ich finde einen ruhigen Platz am Fluss und genieße den Sonnenuntergang inmitten schöner, nicht allzu hoher Berge. Auch die letzten beiden Tage nach Sapa sind geprägt von bis zu 25 km langen Anstiegen und einem 80 km langen Tal, baden im Fluss (es ist wirklich sehr heiß hier), weiteren Hilltribes wie den Dzao, Thai, H'mongs, Dai und dem höchsten Berg Vietnams Fansipan (3100 m hoch) und der gleichnamigen Berggruppe im Hintergrund. Sapa, ein Luftkurort auf 1700 m, ist bekannt wegen seines bunten Markttreibens. Inmitten von terrassierten Feldern, umrahmt von Bergen und guten Lokalen ist der Aufenthalt sehr angenehm. Außerdem unternehme ich eine Erkundungstour zu nahe gelegenen Dörfern, um den Alltag noch genauer zu verstehen.
Die Gegend um Bac Ha auf der anderen Talseite des Red Rivers ist aufgrund der Wochenendmärkte bekannt. Deshalb entschließe ich mich allein dorthin aufzumachen. Da die Anreise lang und mühsam ist, mixe ich Radeln und Busfahren. So geht es frühmorgens 1500 Höhenmeter nach Lao Cai bergab, von dort nehme ich einen Bus bergauf nach Bac Ha und Cau Can - eine kleine Odyssee. Nach einigem Warten und Fragen nimmt mich ein Bus mit.
Aber bevor es losgeht, bekomme ich eine kostenlose Sightseeingtour, denn man kurvte durch das Grenzstädtchen und belädt den Bus mit allen erdenklichen Gütern, angefangen von einem Baugerüst und Baumaterial, Besen, Körbe voll Gemüse und Obst, billige chinesische Haushaltsartikel, Badeschlappen, ein frisch gezimmerter Schrank und mein Rad - nur kaum Gäste. Und wer auf dem Weg zusteigen will, muss erst mal über etliche Fliesenkartons und Zementsäcke steigen. Dass diesen Versorgungsbus in die abgelegene Ecke dann noch eine forsche Frau mit Highheels steuert, macht den Ausflug perfekt. An der steilsten Stelle des Passes streikt der Bus mit Getriebeproblemen. Gut, dass ganz in der Nähe ein Mechaniker wohnt und das Gefährt wieder flott macht. Mit all den Verspätungen ist natürlich der Open-Air-Markt in Cau Can so gut wie vorüber. Aber ich kann dennoch einiges von der umtriebigen Stimmung aufnehmen, und bei der anschließenden Radtour zurück nach Bac Ha finde ich ein traumhaft schönes Plätzchen zum Lesen und Relaxen.

Die bunt gekleideten Flower-H'mongs dominieren das Bild auf dem Sonntagsmarkt in Bac Ha - einem der größten in der nördlichen Region. Beim letzten vietnamesischen Phö (traditionelle Nudelsuppe) genoss und bestaunte ich das Treiben, probiere mich durch die unterschiedlichsten Schnäpse, sah zu wie die Schweine, Hunde (zum Essen) und anderes Kleingetier gehandelt werden und nehme bei der Radstrecke zurück nach Lao Cai Abschied von Vietnam, das mit all den landschaftlichen Kontrasten absolut eine Reise wert ist.

So liegen in Südostasien weitere rund 3400 Radkilometer hinter mir ( Laos 1800 km, Kambodscha 800 km und Vietnam 800 und gut 21000 Hm).
Aktualisiert ( Montag, 19. Mai 2008 um 09:28 )