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Urumqi - die Stadt im Wilden Westen umgeben von Wüste und Schneebergen
Geschrieben von: Lutzi   
Mittwoch, 24. Mai 2006 um 09:31

Aber Ausruhen ist erst mal nicht angesagt. Dafür falle ich zu sehr im Flugzeug auf und meine Nachbarn sind viel zu neugierig. Dass es dann so international werden würde, hätte ich nicht vermutet. Da ist der Kubaner, der mit seiner Delegation hierher fliegt, um sich über die neueste Windturbinentechnik (deutsch-chinesisches Joint-Venture) zu informieren. Und der junge türkische Businessman Emre, der in China mit Tabak handelt, fließend chinesisch, russisch... spricht und mir weiterhilft. Sein Chauffeur liefert mich direkt in einem Hotel ab, und Emre führt mich abends in ein brasilianisches ‚In-Restaurant’ aus, wo uns Unmengen an Fleisch und Spieße serviert werden (von Rinderzunge über Hühnerherzen, Lammkeule....). Urumqi versprüht einen ganz eigenen Charme, da hier so viele unterschiedliche Kulturkreise aufeinandertreffen. Hanchinesen, Uyiguren, Kasachen, Kirgisen, Mongolen und Russen. Die Schilder sind nun nicht mehr nur in chinesisch, sondern auch mit den arabischen Schriftzeichen versehen. Außerdem sieht man oft russische Werbung, die auf den regen Handel hindeuten. Selbst mich fragen sie: Ah, ruski? No? Mh. Slowaki? Amerika? No! Ah German - very good!
Dementsprechend vielseitig präsentiert sich natürlich auch die Küche, aber Kebabstände sieht man an allen Ecken und Enden. Mir hat es die uigurische "Pizza" angetan, ein mit Lammfleisch gefüllter Brotfladen und dazu frisch gepresster Grenadinensaft oder erfrischendes Cazar - Honigbier, das etwas an Cidre erinnert. Wie man diese Spezialitäten kennen lernt? Nun, als ich das örtliche Museum besuche, treffe ich auf einheimische, englischsprechende Studenten, die mir am Abend ihre Stadt mit den Nachtmärkten und unzähligen lebhaften Bazaren zeigen.

Insgesamt läuft hier alles langsamer ab. Man verwendet eine örtliche Zeit, die zwei Stunden hinter der offiziellen Pekingzeit liegt. Deshalb kann man frisches Nanbrot erst gegen neun Uhr kaufen! Okay, dafür ist man ja bis nachts auf Achse und trifft sich an den Straßenständen, sitzt im Freien beim Essen mitten im Rauch der Kebabstände. Manch ruhiges Plätzchen findet man inmitten der Downtown, z.B. vor dem uyigurischen Sinfoniehaus oder auf dem Uni-Gelände. Während ich durch die Läden bummle, muss ich oft schmunzeln, denn manchmal sind die Verkäuferinnen, die hier zu Hauf rumstehen so erstaunt, dass sie kaum mehr grüßen können, andere sind dafür unglaublich hilfsbereit und überschlagen sich. Nicht mal meine Klamotten darf ich selbst zur Anprobe tragen. Für mich ist China nach wie vor ein Wechselbad der Gefühle, da ich für jede Kleinigkeit viel Zeit und Energie aufwenden muss, jedoch wird die Hartnäckigkeit belohnt und ganz unerwartet steht wieder ein 'Engel' neben mir, der mir hilft.
Zwei Tage verbringe ich in der nahen Oasenstadt Turpan, wo mich lockere 40 Grad trockene Hitze empfangen. Selbst die Einheimischen stöhnen. In der Umgebung besichtige ich einige historische Stätten, wie z.B. die mehr als 2000 Jahre alte Ruinenstädte, Buddhacaves (von den Malereien ist leider nicht mehr viel erhalten), Minarette und Moscheen und lasse mich von dem Rotbraun der Flaming Mountains verzaubern. Ich flaniere wie die Einheimischen unter den Weinalleen und genieße die Ruhe.
Hier treffe ich auf Edward - leuchtende Augen, verfilzter Vollbart, ungezähmte wilde Haartracht – der auf dem Weg von Hongkong back to good old England ist. Wir verabreden uns in Urumqi und da er gut chinesisch kann, findet er ein billiges, nettes Hotel. Dafür müssen wir unsere Hotelbesitzer jeden Tag aufs neue überzeugen, dass wir hier sicher untergebracht sind und sie uns nicht rausschmeißen, da sie offiziell keine Ausländer Unterkunft geben dürfen. Mit ihm werde ich mich gen kasachische Grenze aufmachen und dann hoffentlich Eric und Rob treffen.
Um der Großstadt noch einmal zu entfliehen, mache ich einen Ausflug zum Tianchi-Lake oder auch Himmelssee genannt. Man kann sich kaum vorstellen, wie schnell sich die Landschaft ändert, denn nur rund 100 km entfernt in den TianShanMountains findet man fast Allgäuer Idylle vor. Gut, dass sich die Chinesen begleitet von ihren Tourguides an die geteerten Wege halten. Läuft man nur wenige Minuten weiter, ist man mutterseelenallein; so beschließe ich draußen zu campieren, klettere dazu auf einen exponierten Ort und sauge die irre Szenerie mit türkisblauem See, den schneebedeckten Bergen und über mir die kreisenden Bussarde ein.
Die folgende Woche radle ich mit Edward immer gen Westen in Richtung Khorgas, der Grenzstadt zwischen China und Kasachstan. Durch die trockenen und heißen Ausläufer der Taklamakan-Wüste, entlang des Tien-Shan-Gebirges kommen wir flott voran, auch wenn es manchmal sengend heiß ist und wir kaum Schatten finden. Bevor wir die Grenze erreichen, ändert sich die Landschaft. Fast mongolisch anmutend stoppen wir am Saryam-Hu-See inmitten von Schafherden und Jurten und wunderschön blühenden Almwiesen. Endlich in Khorgas angekommen, erfahre ich, dass meine Jungs schon nach Kasachstan eingereist sind, ohne auf mich zu warten! Was soll das? Ich kann mir keinen Reim darauf machen und für die nächsten drei Tage bin ich ziemlich aus dem Ruder geworfen, denn all meine Planungen und Organisation war umsonst. Allein möchte ich nicht durch Zentralasien radeln und Edward schlägt eine andere Route ein. Wie soll es weitergehen? Im kleinen Stadtpark liegend, orientiere ich mich neu und entscheide mich, noch mal gen Pakistan zu reisen und dort Rehmats Einladung wahrzunehmen. Entlang des Ily-Flusses steuere ich den Pass über das Tien-Shan-Gebirges an. Leider vereitelt mir das schlechte Wetter samt Schneefall und Erdrutschen ein Weiterkommen und ich muss den Umweg über Kuqa in Kauf nehmen. Aufgrund der aufgeweichten Schlammpisten stoppe ich einen Lkw und hoffe auf ein lockeres Vorwärtskommen. Aber da habe ich mich ordentlich getäuscht. Statt einem langen Tag werden daraus drei Tage und 2 Nächte, welche ich mit meinen chinesischen Fahrern in ihrem Führerhaus verbringe! So langsam geht uns das Essen aus und auch meine letzten Reserven aus den Tiefen meiner Satteltaschen ist verbraucht. Dann kommt noch ein Achsbruch hinzu und am folgenden Morgen, versuche ich mich erneut mit dem Rad. Es gelingt und in Kuqa steige ich spätabends in den Nacht-Liege-Bus nach Kashgar.
Hier kenne ich mich ja schon aus und es fällt mir leicht, mich zu orientieren. Einige Tage verbringe ich Freunde aufzusuchen und die alten noch verbliebenen Viertel der Stadt zu erkunden bevor ich mich in Richtung Khunjerab-Pass und Pakistan aufmache.

Am Karakol-See, am Fuße des Mustang Ata, verweile ich länger und treffe sogar noch meine Kemptner Freunde Carola und Haldo, die ebenfalls mit dem Rad unterwegs sind und gerade von Pakistan kommen. Selbst nach einem Jahr hat sich die Piste nach Tashkurgan nicht wesentlich verbessert und ich holpere in Erinnerung schwelgend weiter. Schon tags darauf kann ich als einziger Busgast nach Pakistan einreisen, steige auf der Khunjerab-Passhöhe aus und lass es gemütlich nach Sust rollen. Dort übernachte ich bei Freunden bevor ich in Karimabad auf Rehmat treffe.

Aktualisiert ( Sonntag, 07. Juni 2009 um 21:42 )